Heidelberg: C. Winter, 1921. — 198 S.
In der vorliegenden Darstellung soll die Wortbildungslehre vor allem als etwas Lebendiges betrachtet werden, die wortbildenden Elemente als nicht nur nach ihrer Form, sondern auch nach ihrem Inhalt als selbständige, selbsttätige Individualitäten. Dadurch wird allerlei ausgeschaltet, was man sonst hier einzureihen pflegt, was aber tatsächlich nicht der Grammatik als dem Zusammenfassenden, sondern dem Wörterbuche, in diesem Falle dem etymologischen Wörterbuche als dem Individualisierenden angehört. Wird z. B. eine lateinische Suffixlehre genuculum bei den Deminutivbildungen erklären und unter sie einreihen, so hat dagegen frz. ge^zou innerhalb des Französischen seinen Platz nur in der
Etymologie und in der Lautlehre, es ist ein fertiges, zwei-, in der Umgangssprache einsilbiges Wort, dessen betonte Silbe nichts besagt, dessen Stamm ebenso wenig.
Daraus ergibt sich ein Weiteres, was zwar eigentlich selbstverständlich ist, aber doch nicht immer genügend beachtet wird. Alle sprachlichen Veränderungen haben ihre Gründe und vollziehen sich nach bestimmten Regeln, nichts ist dem Zufall, der Willkür überlassen ; das ist für die
Laut- und Formenlehre schon lange anerkannt und ist die Grundlage aller unserer wissenschaftlichen Unter-suchungen. Das gilt aber ebensosehr für die Wortbildung. Was singulär erscheint, muß doch irgendwo in einem weiteren Zusammenhang stehen; ist dies nicht der Fall, dann erhebt sich die Frage, ob unsere Auffassung uicht eine irrtümliche, unsere sprachliche Analyse nicht eine falsche sei. Ich habe gelegentlich auf solche Fälle hingewiesen, habe in dem einen oder andern Fall z. B, bei loyer (§61) oder bei fromage (§ 87), gezeigt, wie die Vereinzelung eine nur scheinbare ist. Das letztere Beispiel ist auch darum interessant, weil es für die Wortbildung bei der Rekonstruktion nicht überlieferter Wörter dieselbe Wichtigkeit erweist, die wir bisher der Lautlehre beigemessen haben: rein lautlich und auch wortgeographisch könnte fromage eine französische Bildung sein, morphologisch-begrifflich aber ist es innerhalb der überlieferten und der kurz vorangegangenen Periode undenkbar. Auf solche Schwierigkeiten hinzuweisen, ist hier ebenso nötig wie bei der Laut- und Formenlehre; sie stets zu lösen, habe ich nicht nur wegen der eigenen Unzulänglichkeit unterlassen, der Grund liegt auch darin, daß in hohem Grade die Verhältnisse der Schwestersprachen und des Lateinischen zu berücksichtigen waren, hier aber noch manches ungeklärt ist; daß ich bei der gegenwärtigen Papiernot und dem hohen Preise der Bücher den Umfang des Büchleins auf das Nötigste beschränken wollte; endlich darin, daß ich, indem ich das Werdende und Lebende über das Erstarrte stelle, glaube, den Lehrern einen Dienst zu erweisen, da gerade dieses Gebiet der historischen Grammatik mehr als irgendein anderes im Unterricht fruchtbar werden kann.